Für echte Kunsterzieher gibt es keinen Zweifel daran, dass die Beschäftigung mit Kunst immer nachhaltig ist. Aber in diesem Fall war es auch für alle anderen eine ganz klare Sache: Die Kulturstiftung des Bundes initiierte unter dem Titel „ÜberLebenskunst“ künstlerische Projekte, die sich ganz ausdrücklich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen – und sie förderte in diesem Zusammenhang die Kooperation von Künstlern und Schulen.
So hatten wir das Glück, dass Nicole Noack, eine Hamburger Textildesignerin und Künstlerin, nach einer Partnerschule Ausschau hielt. Ohne zu zögern sagten wir zu und fingen noch im Frühsommer 2011 an, ein Projekt für beide Profilkurse Kunst des 1. Semesters (Leitung Heidrun Kremser und Antje Strehlow) zu planen.
Denn gleich nach den Sommerferien sollte es losgehen: und zwar mit einer Exkursion aufs ÜberLebenskunst-Festival nach Berlin! Die großzügige Förderung machte es möglich, dass wir die Reise quasi zum Nulltarif antreten konnten – wenn das kein guter Start in die Oberstufe ist!
Für die frischgebackenen Profilkursler war die ÜberLebenskunst hier und da sicher ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn was im und um das Haus der Kulturen der Welt zu erleben war, ließ sich für die meisten mit den gängigen Vorstellungen von Kunst nur bedingt fassen. Aber sie stellten sich der Herausforderung mit Neugier und Ernsthaftigkeit, sammelten Eindrücke und hielten sie in einem Reiseskizzenbuch fest. Anlass, um in Diskussion zu kommen, gab es also genug – und für den Spaß und die Abwechslung sorgten die Schüler selbst! Eine nette Truppe war da unterwegs!
Zurück in Hamburg ging es dann an die eigene Arbeit.
Nachhaltig sollte schon der Werkstoff sein, mit dem die Schüler arbeiten würden – und da Nicole Noack ein Gespür für Stoff hat, war die Entscheidung auf Altkleider gefallen. Die ganze Schule hatte mitgesammelt und es war ein so großer Haufen zusammengekommen, dass selbst Christian Boltanski wohl seine Freude daran gehabt hätte.
Auch die Schüler hatten inzwischen erkannt, dass in so einem Haufen eine ganze Menge drinsteckt – und dass eine Menge herauszuholen ist. Denn am Beginn der Arbeit ging es zunächst einmal darum, sich für das Material zu sensibilisieren: Was für Geschichten stecken in Kleidern, welche Erinnerungen sind mit ihnen verbunden, welche Assoziationen wecken sie? Ausgehend vom eigenen Kleidungsstück führte die Spur zum fremden und im Treppenhaus der Schule wurden Hosen, Kleider oder Mützen zusammen mit ihrer fiktiven „Biografie“ präsentiert.
Aber es blieb nicht dabei, gedankliche Fäden zu spinnen – im nächsten Schritt ging’s zur Sache – und zwar „mit Jacke und Büx!“: Angeregt von Arbeiten Erwin Wurms oder der Fashion Garage standen die Schüler nun vor der Aufgabe, fantasievolle Kleidungscollagen zusammenzustellen. Da ging es wild und bunt zu – Ideen gab es wirklich in Hülle und Fülle – und herausgekommen sind Kreationen voller Witz und Poesie.
Der besondere Kick an der Sache: Ein „richtiger“ Fotograf wurde engagiert und es ging zum „Shooting“ auf die Große Bergstraße. Inmitten des alltäglichen Lebens wurden kleine Bildinszenierungen entwickelt, die in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fielen.
Aber all das war ja erst der Anfang: Eigentlich ging es in diesem Semester ja um das Thema Design. Und die alten Kleider sollten der Stoff für manch andere Verwandlung sein – was kann man daraus alles machen! – Ja, das genau war die Frage: Was kann man daraus alles machen?
Denn es galt, aus dem Material der Altkleider eigene, unkonventionelle Gebrauchsgegenstände zu entwickeln. Erneut sollten Bildbeispiele aus Kunst und Design zur Anregung dienen.
Ausgehend davon wurde skizziert und geplant, verworfen und überarbeitet – bis jeder Schüler und jede Schülerin sich für ein Objekt entscheiden konnte – das wurde gebaut.
Näh- und Bohrmaschine kamen gleichermaßen zum Einsatz – Taschen, Stühle, Lampen entstanden, aber auch eher freie Rauminstallationen.
Ziel dabei: Dem Werkstoff der alten Kleider gerecht zu werden, seine Besonderheiten und Eigenschaften aufzugreifen und als originellen Impuls in die Neuschöpfung einzubeziehen.
Denise verarbeitete einen alten Pullover zu einer Spieldecke für Kinder – nähte Straßen aus Stoff darauf und fertigte mit Liebe zum Detail Häuser und Bäume aus alten Socken und Ärmeln dazu – zusammengepackt und mit Reißverschluss und Knöpfen versehen wurde aus der Spieldecke blitzschnell eine Tasche für die Spielwaren selbst. –
Gabriel und Johannes bauten keinen Kleiderschrank, sondern einen Schrank aus Kleidern, bei dem sie ganz unterschiedliche Kleidungsstücke auf originelle Weise zu Behältnissen zum Verstauen umfunktionierten.
Katarina führte in einem kleinen Film einen „Versuch über Nachhaltigkeit“ vor: Ein großer alter Wollpullover wurde mühevoll aufgeribbelt – seine Wolle war das Material, aus dem Katarina dann wärmende Überzieher für Tassen und Töpfe strickte – dazu brauchte sie einen langen Geduldsfaden!
Das sind nur einige Beispiele aus einer breiten Palette von Objekten.
Neben den Profilkursen nahmen auch zwei sechste Klassen am Projekt „In Hülle und Fülle“ teil.
Auch sie sichteten zu Beginn der Arbeit die Kleiderberge und ließen sich zu Geschichten und Gedanken anregen. Dann arbeiteten sie daran, ein kleines Wesen aus einem Stück zu nähen, was fast allen ganz schön viel Geduld und Fingerspitzengefühl abverlangte. Für die meisten sind Nadel und Faden keine alltäglichen Werkzeuge… Kleine und große phantasievolle Kerlchen sind da entstanden.
Sie alle wurden gemeinsam mit den Arbeiten der Profilkurse in einer Ausstellung in der schuleigenen Galerie einem neugierigen Publikum gezeigt (link: Galerie-Ausstellungen). Eine Ausstellungseröffnung nach allen Regeln der Kunst gehörte dazu!
Anziehend fand die Projektidee auch die Jury des Wettbewerbs „Kinder zum Olymp“, die das Projekt in der Sparte „Kunst und Architektur“ zu einem der fünf besten Projekte wählte.
Das Projekt „In Hülle und Fülle – oder wie wir mit Altkleidern unsere Handlungsspielräume erweitern“ fand im Rahmen des Initiativprojekts ÜBER LEBENSKUNST der Kulturstiftung des Bundes statt und wurde gefördert von ÜBER LEBENSKUNST.SCHULE in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität Berlin – eine Kooperation von Nicole Noack und den Profilkursen Kunst des Gymnasium Allee (Leitung: Heidrun Kremser und Antje Strehlow, Fotografien von Lasse Teubner)