Im Wintersemester 2016/17 stand im Profilkurs Kunst des Jahrgangs 11 (Leitung: Heidrun Kremser) das Thema Design auf dem Lehrplan. Nachdem die theoretische Annäherung an das Arbeitsfeld Design abgeschlossen und kleinere vorbereitende Übungen bearbeitet worden waren, sollte das umfassendere praktische Projekt beginnen.
Als Kooperationspartner konnten wir dafür den Hamburger Designer Sebastian Mends-Cole gewinnen, der zusammen mit drei Partnern das Designbüro „BFGFDesign Studios“ führt, das sich einem nachhaltigen Umgang mit Material und Rohstoffen verpflichtet sieht. Außer an guten Formen hat Sebastian Mends-Cole auch am kreativen Prozess seine Freude und so kam er voller Neugier und Offenheit am 16.11.2016 zum ersten Mal in unseren Unterricht.
In der ersten Stunde stellte er zunächst einmal sich selbst und seine Arbeit vor. Die Schüler/innen reagierten interessiert und stellten viele Fragen zum Beruf des Designers, zum Ausbildungsgang und den Arbeitsprozessen.
Zur Einstimmung auf das Projekt hatten wir dann eine ganze Sammlung an Alltagsgegenständen aufgebaut. Auf einem großen Tisch stapelten sich Dinge wie Kalender, Uhr, Landkarten, Schreibmaschine und Taschenrechner, Zeitschriften und Lexika, Walk-Man und – last but not least – auch ein altes Telefon mit Nummerntasten. All das hatten wir ausgegraben, um den Schüler/innen ein Rätsel aufzugeben: Worum wird es in unserer Arbeit gehen?
Das Rätsel war schnell gelöst: Um möglichst nah an der Lebenswelt der Schüler zu bleiben, hatten wir uns für die Beschäftigung mit dem Thema „Handy“ entschieden – einen Alltagsgegenstand, der aus unserem Leben heute kaum noch wegzudenken ist und die persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungs- und Kommunikationsstrukturen mehr und mehr prägt.
Als wir all die ausgelegten Dinge wieder in die Kisten packten, in denen wir sie herbeigeschleppt hatten, wurde auch augenscheinlich, welche Vorteile das Handy als Multifunktionsgerät unzweifelhaft hat.
Es „erleichtert“ unser Leben – aber ist das alles?
Bereits im Vorfeld hatten die Schüler eine „Liebeserklärung“ an ihr Handy verfasst, um dadurch ganz allgemein den drei „Designfaktoren“ (ästhetisch, funktional, semantisch) eines Alltagsgegenstands auf die Spur zu kommen.
Von diesen Texten ausgehend konnte dann eine umfassendere Reflexion beginnen: Wie benutzen wir das Handy? Welche Vorteile bietet es? Welche Auswirkungen hat es?
Wer der Meinung war, die „junge Generation“ gehe gänzlich unreflektiert mit den neuen Technologien um, wurde vom Ergebnis der Ideenfindung überrascht – zumindest die Schüler/innen dieses Kurses bewiesen einen scharfen Blick und ein kritisches Bewusstsein in der Analyse ihres eigenen Handygebrauchs und dessen gesamtgesellschaftlicher Dimension.
Schnell füllte sich die Pinwand mit vielen Stichwörtern, die als Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Gestaltungsentwurfs dienen konnten.
Einfach war es aber trotzdem nicht, aus diesen Gedanken nun eine konkrete Form abzuleiten, in der die Aussage sinnfällig umgesetzt und damit im Wortsinn „greifbar“ werden konnte.
Denn in der praktischen Arbeit war nicht eine bloß formale Überarbeitung gängiger Modellvarianten gefragt, sondern eben die gedankliche Auseinandersetzung mit den Funktionen und Wirkungen, die das Handy in unser Leben bringt.
Wie konnte das Handy umgestaltet oder erweitert, was konnte ihm an- oder eingebaut, wie konnte es in einen ungewohnten Kontext integriert werden, um Denkanstöße zum Umgang mit diesem scheinbar unverzichtbaren Alltagsgegenstand zu geben? Ironische, skurrile aber auch ganz ernsthafte, kritische und natürlich auch funktionale Lösungen waren möglich.
Sebastian Mends-Cole erwies sich in dieser Phase als inspirierender Gesprächspartner, der sich intensiv und begeistert auf die Ideen der Schüler einließ, aber als Profi natürlich auch die Unstimmigkeiten und Fehlstellen auf dem Weg von der Idee zum Objekt klar erkannte. Gemeinsam wurde geskribbelt, geknobelt und beratschlagt, überarbeitet und verworfen – bis (fast) jeder Schüler drei Entwürfe präsentieren konnte.
Sie wurden in der großen Runde vorgestellt, auf Basis der Rückmeldungen konnte dann die Entscheidung für eine der Ideen fallen – sie sollte nun in ein plastisches Modell umgesetzt werden.
Für die Gestaltung dieser Prototypen hieß es findig sein: Welches Material eignet sich am besten? Welche Mechanik ist nötig? Wie verbinde ich die Bauteile?
Die Hilfe des Fachmanns war hier gut zu gebrauchen: Sebastian Mends-Cole konnte aus seiner reichen Erfahrung hier natürlich manchen guten Hinweis geben und nach und nach wurden aus Ideen und Skizzen „greifbare Lösungen“.
Einige Schüler/innen waren von ganz praktischen Erfahrungen ausgegangen: Anna reagierte auf den Missstand, dass dem eiligen Städter mit dem Kaffeebecher in der Hand nicht mehr genügend freie Finger für die Handytastatur zur Verfügung stehen. Die Handy-Halterung, die sie für den Kaffee-to-go-Becher entwickelte, schaffte hier Abhilfe.
Sarah ließ sich von der leidvollen Erfahrung anregen, dass das Handy beim Tanzen stört, und entwickelte ein Strumpfband, in das das Handy einzustecken war. Geschickt verstaut und trotzdem schnell wieder zur Hand, um die neuesten Kontakte einzuspeichern – und übrigens auch nicht ohne ästhetischen Reiz…
Andere Lösungen waren eher konzeptueller Natur.
Mathilde griff das Prinzip einer Weihnachtspyramide auf und baute eine sich drehende Spirale mit kleinen Modellfiguren – wie beim Tanz um das goldene Kalb schienen sich diese Figürchen nun um das Handy zu drehen, das Mathilde an der Spitze dieser Pyramide angebracht hatte.
Weil das Handy vielen Menschen derart wichtig ist, dass es ein Teil der eigenen Person zu sein scheint, kam Tim auf die Idee seines in den Unterarm zu implantierenden Akkusteckers: Das Handy zieht seine Energie damit direkt aus der Wärme des menschlichen Körpers – ein schmerzhaftes Abhängigkeitsverhältnis.
Joyleens Entwurf überschritt die Grenzen zwischen Körper und Gerät auf ähnlich schonungslose Weise: Alte Traditionen indigener Völker auf Borneo aufgreifend, die ihre Ohrläppchen durchlöchern und das entstandene Loch durch Einsatz von schwerem Schmuck mehr und mehr erweitern, überarbeitete sie das Portrait einer Lirongfrau: Sie passte diese Öffnungen per Bildbearbeitung dem Maß eines Handies an und setzte das Gerät virtuell in ihr Ohrläppchen ein – das so veränderte Bild wirkte frappierend echt und eröffnete Assoziationsräume bis hinein in Bereiche von Globalisierung und Kolonialisierung.
Mit dem ironisch-schillernden Titel „Nicht ohne mein Handy“ wurden die Ergebnisse der Arbeit – angereichert mit Zeichnungen und Gebrauchsanweisungen – in einer Ausstellung in der galerie! der Schule präsentiert. Zur Vernissage am 27.2. 2017 konnten wir viele neugierige Gäste begrüßen.
Die Ausstellung bot dann auch den Rahmen für die Peer-to-Peer-Begegnung, die in diesem Semester einen ganz praktischen Nutzen hatte: In Vorbereitung auf die Wahl ihrer Oberstufenkurse sollten sich die Zehntklässler ein Bild von der Arbeit in den Profilen machen. Schon einen Tag nach der Eröffnung strömten sie in die galerie!, diskutierten mit den Schüler/innen des Profilkurses die Thematik, interpretierten die Entwürfe und ließen sich die Arbeiten in kleinen Gruppen erläutern.
Eigentlich müssten sie Lust bekommen haben…