Kunst

Performance-Projekt mit dem Künstler Jan Helbig

Im Sommersemester 2017 startete das vierte Projekt in der Reihe vom Kulturaustausch zur Austauschkultur – eine Kooperation des Profilkurses Kunst des zweiten Semesters (Leitung: Heidrun Kremser) mit dem Künstler Jan Helbig.

Studiert hat Jan Helbig Malerei und vor allem Portraits bilden einen Schwerpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit. Noch immer widmet Jan Helbig einen Teil seiner Arbeit diesem Sujet, seine Neugier hat ihn aber im Verlauf der Jahre dazu getrieben, sich immer neue Zugehensweisen und Bereiche zu erschließen. Der Austausch mit den Rezipienten, die spontane Reaktion auf das, was ist und im Augenblick passiert, sind ihm wichtig. So hat sich seine Arbeit immer mehr auch in das Feld der „Aktion“ verschoben: Gemeinsam mit einem Maler-Kollegen entstehen Bilder in Anwesenheit des Publikums, Malerei und Musik werden aufeinander bezogen und der Spritzenplatz in Ottensen gibt immer wieder einmal den Raum, von dem aus Jan Helbig den Passanten kleine performative Denk-Impulse mit auf den Weg gibt.

Auch Schülern einmal die Grundlagen performativer Arbeit zu vermitteln reizte Jan Helbig und deshalb hatte er eine Zusammenarbeit angefragt: Na, da rannte er offene Türen ein!

Bei der Entwicklung eines Unterrichtskonzepts für das Semester kamen wir schnell überein, den künstlerischen Entwicklungsgang Jan Helbigs mit den Schülern sozusagen nachzuvollziehen:
Zunächst einmal wollten wir ganz klassisch beginnen: Zeichnerisch den Poportionen des menschlichen Gesichts auf die Spur kommen, Gesichtern mit Farben Ausdruck zu geben und dann die Beschäftigung mit dem „Selbst“ vom darstellenden Portrait auf die performative Arbeit rund um das Thema „Selbstwert“ zu lenken.

Ich will ehrlich sein: Ein bisschen gespannt war ich schon, ob es ihm gelingen würde, die eher zurückhaltenden SuS des Kurses für die Performance zu begeistern – sich selbst ganz direkt zum Ausdrucksmittel einer künstlerischen Aussage zu machen, erfordert ja schließlich schon eine ganze Portion Mut.

Am 14.2.2017 kam Jan Helbig zum ersten Mal in den Unterricht, erzählte von seinem künstlerischen Werdegang und beantwortete die Fragen der SuS. Schon hier wurde deutlich, dass „die Chemie stimmte“ und eine Seite auf die andere neugierig war.

Den Einstieg ins Portraitzeichnen nahmen wir zunächst über das Blindzeichnen, einer Übung, die immer wieder zu überraschenden Ergebnissen und echten Aha-Erlebnissen führt. Nicht das stimmige Abbild, sondern das genaue Hinsehen ist nämlich hier gefragt. Und das äußert sich oft in einer sehr sensiblen Strichführung mit starkem Ausdruck.
Den Reiz der Bilder erkannten die SuS schnell und sie hatten Freude an der Arbeit.

Etwas komplizierter wurde es dann, als sich die Erschließung der Gesichtsproportionen anschloss. Da galt es genau zu sein. Um den Einstieg etwas zu erleichtern, arbeiteten die SuS mit Hilfe fotografischer Selbstportraits. Sie wurden vermessen und verglichen, um ein allgemeines Prinzip zu erkennen. Auf dessen Basis entstanden dann möglichst genaue gezeichnete Selbstportraits.

Im nächsten Schritt ging es nun um das Malen – und zwar mit Acrylfarben. Das kommt im schulischen Unterricht nicht allzu oft vor – schließlich sind die Farben nicht billig. Eine kleine technische Übung vermittelte die verschiedenen Möglichkeiten des Farbauftrags, dann waren Experimentierfreude und Farbgefühl gefragt. Zunächst wurde das Format mit freien Farbflächen bedeckt, erst in einem zweiten Schritt wurde aus diesen durch gezielte Linien- und Flächensetzung ein Portrait herausgearbeitet. Intuitiv wählten die SuS Farben und Kontraste, frei entwickelten sie die Formen – und erkannten klar, wie unterschiedlich auch die Wirkung war, die sie damit erzielen konnten. Dieses Wissen wurde in Vorbereitung einer Klausur systematisiert.

Danach ging es um die Performance. Mit sehr klar strukturierten Übungen baute Jan Helbig schrittweise ein Verständnis des Mediums und seiner Gestaltungsmittel auf – und das in Übungen, die Lust und den Einstieg leicht machten. Mit der Kamera wurden diese kleinen Selbst-Versuche aufgezeichnet. Und dieser „Videobeweis“ überzeugte die Schüler schnell davon, welche Wirkung die von kleinen Handlungsanweisungen instruierten Choreografien entwickelten, die in kleinen oder größeren Gruppen durchgeführt wurden. Ganz wichtig dabei war die sich anschließende Reflexion: Hier ging es darum, ein Bewusstsein der verschiedenen Spannungsfelder zu gewinnen: Kontrastbegriffe wie Stillstand – Bewegung, Ordnung – Chaos, Symmetrie – Asymmetrie (im Bereich des Bildes) oder Stille – Klang, Wort – Geräusch oder rhythmisch – arhythmisch (auf der Ebene des Tons) wurden herausgearbeitet – Aspekte, die die Schüler nach und nach immer gezielter zum Einsatz brachten. Mit viel Feingefühl entwickelten sie interpretatorische Zugänge zum Gesehenen. Und tatsächlich eröffneten einige der eigentlich als Übung gedachten Performance-Produkte bereits enorme Assoziationsräume und interessante Denkanstöße.

Nach dieser gemeinsamen Vorarbeit konnte es an die Performance-Projekte gehen, die die SuS in kleineren Gruppen entwickeln sollten. Als Thema war der Begriff „Selbst-Wert“ vorgegeben.
In einem Brainstorming sammelten wir zunächst Assoziationen und Deutungsansätze, dann wurden erste Ideen ausgearbeitet.
Hier zeigte sich, dass die Sache nicht ganz so einfach war. Hatte sich in den vorangegangenen Übungen eine inhaltliche Ebene auf Basis der eher formalen Parameter fast wie von selbst entfaltet, erwies sich der umgekehrte Weg – vom Inhalt zur Form – als durchaus schwierig. Es galt allzu platt und eindeutig formulierte Aussagen zu vermeiden: Denn in der Performance geht es ja nicht um die theaterhafte Vermittlung einer Stellungnahme zum Thema, sondern eher um eine Versuchsanordnung, in der sowohl dem Handelnden wie dem Zuschauer Erfahrungen ermöglicht werden, die sich aus dem ergeben, was gerade passiert. Es galt, dem Risiko seinen Platz einzuräumen und sich mit aller Intensität in das selbst arrangierte Spielfeld hinein zu begeben.

Jan Helbig unterstützte die Gruppen bei der Entwicklung ihrer Vorhaben, würdigte, bekräftigte und fragte nach, machte Mut, regte an und vor allem: war mit aller Neugier dabei.
Diese Energie sprang über.

Herausgekommen sind einige wirklich sehenswerte Video-Mitschnitte von Performances, die den Wert des Einzelnen und sein Vermögen auf ganz unterschiedliche Weise inszenieren – im Kontakt mit anderen oder ganz für sich, im Mit- und Gegen- oder einfach Nebeneinander, im Gewinnen oder Scheitern, leise oder laut, langsam oder schnell.
Es war beeindruckend zu sehen, wie intensiv sich einige Gruppen auf den Prozess eingelassen hatten.
Die Videos der Ergebnisse wurden am Fest der Künste im Gymnasium Allee präsentiert, das am 13.7., kurz vor den Sommerferien, stattfand.
Besonderen Mut aber bewiesen zwei der Gruppen, die sich zwei Tage später außerdem bereit fanden, ihre Performances beim Nachbarschaftsfest des „Haus 3“ in der Hospitalstraße vor und mit Beteiligung des Publikums live aufzuführen.

Die Peer-to-Peer Begegnung fand bei unserer Begegnung mit Schüler/innen der Herderschule in Kassel statt, die wir anlässlich der documenta besucht haben.